Laut und leise

Auf einer Wanderung unterwegs in den basellandschaftlichern Hügeln näherten wir uns einem Weiler und da stiessen wir auf ein schon fast gotthelfsches Bild: Zwei Frauen mit langen breiten Rechen zogen an einem Hang das Heu zu langgestreckten Haufen zusammen. Blauer Himmel, Sonne und: Stille! Kein dynamischer Jungbauer, der das Heu mit Getöse vor sich herbläst. Ich war entzückt! Welche wohltuende Ausnahme, denn in  der Regel geht es nicht ohne Motorenlärm.

Laut
Während sich die Städter vielleicht über den Verkehrs- und Partylärm ärgern, leiden wir ausserhalb der Städte am omnipräsenten Lärm von irgendwelchen effizienzsteigernden Maschinen: Rasenmäher, Laubbläser, Motorsägen, Heckenscheren und der König unter den Männerspielzeugen: Der Fadenmäher. Wahrlich, wir sind zurück in der ohrenbetäubenden Normalität, freilich einer krankmachenden Normalität. Während diejenigen, die mit diesen Geräten hantieren mit Ohrenschutz ausgestattet sind, sind wir andern schutzlos ausgesetzt. Und das oft stundenlang und manchmal sogar tagelang. Deshalb liebe Hersteller all dieser Maschinen, es ist Zeit für Innovation: leise und umweltschonend sollen all diese Geräte sein. Ich mag nicht warten bis die Anwender vernünftig werden.

Leise
Auf der einen Seite sind da also die Lauten und auf der andern die Leisen: Die Pöstlerin kommt lautlos um die Ecke, der e-Bike-Fahrer rauscht beinahe lautlos an mir vorbei und auch meine Nachbarin fährt im Alter 90plus mit einem leisen Kleinstfahrzeug zum Einkauf. Doch die Jungen haben mit dem Leisen gar nichts am Hut. Die wollen – wie wir vor mehr als fünfzig Jahren – ein möglichst laut knatterndes und stinkendes Töffli. Das ist schon fast die Wiederkehr des Ewig-Gleichen, wie bei Nietzsche.

Laut, schnell, hell
Doch der Lockdown hat allen gezeigt: Unsere Welt ist laut, schnell und hell. Mit hell ist freilich nicht der Geisteszustand der postmaterialistischen Gesellschaft gemeint. Ich denke da vor allem an die Lichtverschmutzung. Und jetzt sind wir also zurück in der Laut-schnell-hell-Normalität. Vergessen ist die Wohltat der Ruhe in einer entschleunigten Welt.

Im Grunde genommen
Die Flieger heben wieder ab, die Autos und Motorräder brummen mehr denn je und die zoom-Sitzung war gestern. Die Fadenmäher sind nie verstummt und vom Emmental bis ins Calancatal blasen die Jungbauern das Heu mit grossem Lärm vor sich her. Das stimmt mich wenig hoffnungsvoll. In seinem Gedicht von der Entwicklung der Menschheit hat Erich Kästner 1932 in den Schlusszeilen geschrieben: „So haben sie mit dem Kopf und dem Mund den Fortschritt der Menschheit geschaffen, doch davon mal abgesehen und bei Lichte betrachtet, sind sie im Grunde noch immer die alten Affen.“ So frage ich mich: Was würde der Kästner wohl heute schreiben?