Ahimsa in Yoga und Kommunikation

Giraffenyoga – Kommunikation mit Leib und Seele

Die Sonn‘ bewegt das All, lässt alle Sterne tanzen.
Wirst du nicht mitbewegt, bist du kein Teil vom Ganzen.
~ Angelus Silesius

Giraffenyoga ist ein Weg zu körperlich, geistig und seelischer Ausgeglichenheit, welche befähigt, wertschätzend zu kommunizieren. Werkzeuge der Methode sind Yoga nach Patanjali (1), Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Rosenberg (2) sowie verschiedene mediative (3) Gesprächstechniken.

Die Giraffe (arabisch: die Liebliche) ist das Symboltier der GFK, deshalb Giraffenyoga. Es geht also darum, auf der Wertebasis von Patanjali, der Körperarbeit und der kommunikativen Bewusstseinsschulung sowie dem Training der GFK zu wertschätzender Kommunikation und zu liebevollen Beziehungen zu gelangen. Weil die Grundsätze der GFK leicht zu verstehen, aber schwer anzuwenden sind, führt die Annäherung an die wertschätzende Kommunikation über den Weg körperlicher Übungen. Dabei geht es, genauso wie in der Kommunikation um Ahimsa, die Gewaltfreiheit.

Zeichnung: Darsi Devine

Indem wir achtsam übend wahrnehmen, was in unserem Körper geschieht und indem wir unsere körperlichen und mentalen Grenzen ausloten, lernen wir eine einfühlsame Verbindung zu uns selbst herzustellen. Diese Verbindung ist zentral für unser Leben und unsere Kommunikation. Denn damit wir zum Du, zu unseren Mitmenschen, eine einfühlsame Verbindung herstellen können, müssen wir zunächst mit uns selber einfühlend verbunden, also mit uns selber befreundet sein. Dazu müssen wir uns selbst verstehen. Der Weg führt über den Selbstausdruck (Sprache, Art und Weise des Seins) zur Selbsterkenntnis und von da zum Selbstverständnis. Dieses ist eine wichtige Grundlage zur Selbstbestimmung. Der Weg zur Nächstenliebe führt also über die Selbstfreundschaft und Selbstliebe und über die Akzeptanz des Lebens in all seinen Facetten.

Glück durch glückliche Kommunikation

Da wir soziale Wesen sind, ist Glück im Alleingang nur schwer zu erreichen. Wir reifen in Gespräch, im Dialog, im zuhören und sprechen, in der Auseinandersetzung mit dem menschlichen Gegenüber (4). Wir wachsen im Horchen (5) in der Stille. Wir sind in ein ununterbrochen vibrierendes und pulsierendes Netz eingewoben, verbunden mit allem Lebendigem. Wir schwingen bewusst und unbewusst im grossen Klangkörper des OM (6). Glück hängt also auch von umfassender glücklicher Kommunikation ab.

Glücklich aber kann Kommunikation nur sein, wenn wir selbst in unserer Mitte ruhen und wenn sie liebevoll allem Lebendigem gegenüber ist, wenn Kommunikation zu Kommunion (7) wird, zu tiefster Verbundenheit in Verantwortung (8). Yoga kann uns dazu verhelfen, ein Fundament zu schaffen, worauf, gepaart mit den Techniken des Gesprächs, Verständigung gelingen kann. Zudem gibt es zwischen dem Erleben in der Yoga-Praxis (Asanas) und dem sprachlichen Ausdruck eine Rückkoppelung: Wenn es uns gelingt, das körperlich Erlebte in differenzierten Worten auszudrücken, dann wirkt die Sprache auf das Körpererleben zurück; dieses wird selbst differenzierter. Yoga fördert den ganzheitlichen Blick auf den Körper und schafft ein Bewusstsein für die feinen Beziehungen zwischen Geist und Körper. Unser Denken wirkt bis in unsere Zellen hinein und beeinflusst so unser Wohlbefinden.

Yoga als Weg zum Glück

Yoga kommt von der Sanskrit-Wurzel yuj und bedeutet anjochen, anbinden, vereinen. Im Yoga vereinen wir die individuelle Seele mit der universellen Seele. Yoga ist Wissenschaft. Yoga ist Kunst. Yoga ist nicht Glaube. Yoga sagt: Erfahre! Yoga ist Geistesschulung; Yoga ist kein Fitnessprogramm (9), auch wenn wir körperlich üben (10) und es uns gut tut. Wir üben, um am Wunder des Lebens teilzuhaben.

Yoga ist jener innere Zustand, in dem die seelisch-geistigen Vorgänge zur Ruhe kommen (11). Und: Dann ruht der Sehende in seiner Wesensidentität (12).

Das heisst, dann ruhen wir in uns, dann haben wir Abstand gewonnen und identifizieren uns nicht mit den seelisch-geistigen Vorgängen in uns. Wir werden frei, zentriert und wach. In diesem Zustand können wir lernen und dem Geheimnis unserer Existenz auf die Spur kommen. Wir sind nicht unser Ego, nicht unsere Emotionen, nicht unsere Rollen, die wir im Welttheater spielen. Wir sind göttlicher Natur und Teil der kosmischen Evolution. In diesem Entwicklungsprozess sind wir unser selbst bewusst geworden. Darauf aufbauend führt uns Yoga in die Tiefe unseres Seins und damit in die Selbsterkenntnis. Auf diesem Weg verbindet uns Yoga mit uns selber, mit den andern und mit dem grossen Mysterium des Lebens. Das führt uns in innere Zufriedenheit und in die Nähe des Glücks, das von Äusserlichkeiten, wie Erfolg und Reichtum unabhängig ist. Dazu müssen wir nicht, wie die Yogis in früheren Zeiten in Asien, uns auf die Berge und in die Höhlen zurückziehen und unablässig üben, um dem leidvollen Zyklus von Geburt, Leben, Krankheit, Alter, Tod und Wiedergeburt zu entfliehen (13). Wir bleiben im Hier und Jetzt, in dieser Gesellschaft mit ihren Irrungen und Wirrungen, mit ihrer krankmachenden Aufgeregtheit und Hektik (14) und ihrer sich ausbreitenden Virtualität, die Vereinzelung und Vereinsamung fördert. Wir stellen uns den Herausforderungen des realen Lebens und hoffen als täglich Übende, dass wir als befreite Seelen (15) glücklicher leben können, nämlich mehr aus dem Selbst und weniger aus dem Ego heraus. Denn während das Ego sich auf dem Feld des Gewöhnlichen austobt, liegt unser Selbst in der Tiefe und verbindet uns mit dem heiligen Raum in uns. Alle Lichtgestalten der Menschheit, von Albert Schweitzer über Mutter Teresa und Mahatma Gandhi bis zu Nelson Mandela haben aus diesem heiligen Raum heraus gewirkt.

In dieser Präsenz sind wir lebendig, bewusst und kraftvoll. Wir fühlen uns ganz. Vereinfacht ausgedrückt: Yoga ist die Integration von Kopf, Herz und Hand. Wir begegnen im Yoga dem grossen Pädagogen Pestalozzi (16). Wer die Dinge bewusst tut, weiss um den schmalen Grat, der zwischen Gelingen und Misslingen liegt. Die Chance des Gelingens steigt, wenn wir die Selbstverpflichtung eingegangen sind, täglich zu üben.

Ahimsa

„Ahimsa (17) ist ein umfassendes Prinzip. Wir sind hilflose Sterbliche von der Feuersbrunst von Himsa (18) eingefangen. In der Redewendung, dass Leben von Leben lebt, steckt ein tiefer Sinn.

Der Mensch kann keinen Augenblick leben, ohne äusserlich, bewusst oder unbewusst, Himsa zu begehen. Die blosse Tatsache seines Lebens – Essen, Trinken und äussere Bewegung – schliesst notwendig etwas Himsa, Zerstörung von Leben, und sei sie noch so winzig, ein. Ein Ahimsa-Bekenner bleibt daher seinem Glauben treu, wenn der Ursprung all seines Tuns Mitleid ist, wer, so gut er es vermag, die Zerstörung des kleinsten Lebewesens vermeidet, es zu retten sucht und sich so unablässig bemüht, von der tödlichen Verstrickung in Himsa frei zu werden. Er wird daher ständig an Selbstzucht und Mitleid zunehmen, doch völlig von äusserer Himsa frei werden kann er nie.“ (Mahatma Gandhi)(19).

A-himsa im Yoga ist mehr als die Abwesenheit von Gewalt. Ahimsa ist mehr als Empathie, umfassend verstanden ist Ahimsa universelle Liebe. Diese Liebe erstreckt sich auf die ganze Schöpfung.

„Gewaltsamkeit entsteht aus Furcht, Schwäche, Unwissenheit oder aus Unruhe. Um sie zügeln zu können braucht man vor allem Furchtlosigkeit. Um diese zu gewinnen, muss man das Leben auf andere Weise betrachten und die Gedanken umorientieren. Gewaltsamkeit wird vergehen, wenn der Mensch lernt, sein Vertrauen auf die Wirklichkeit und auf Selbsterforschung zu gründen und nicht auf Unwissenheit und Vermutung“ (20).

Ahimsa im Yoga

Ahimsa im Yoga ist die Einstellung, einfach nur wahrzunehmen, was ist, genau so, wie in der Kommunikation. Keine Bewertung, kein Urteil, kein Ärger. Mit sich selber befreundet sein. Selbstliebe. Gesunde Selbstliebe ist weder Selbstsucht noch Narzissmus. Es geht darum, nichts erzwingen zu wollen, die aktuellen Grenzen zu respektieren, achtsam und liebevoll mit dem eigenen Körper umzugehen. Es ist wie es ist. Punkt. Dann, wenn dieser Punkt erreicht ist, können wir sanft weitergehen, Grenzen verschieben, atmend den Raum ausdehnen. Hingabe im Fluss des Atems.

Remo Rittiner nennt das ganzheitliche körperlich und geistig achtsame Üben die Kunst der glücklichen Anstrengung. Wie schön. Nicht Glück oder Anstrengung. Nein, beides. Leistung und Fortschritt ohne Kampf und Krampf. Rittiner erkennt die glückliche Anstrengung an folgenden Merkmalen:

dem Gefühl der Harmonie; dem regelmässigen Fliessen des Atems; die Übung ist eine Herausforderung, für die wir bereit sind; dem Spüren körperlicher und geistiger Ausdehnung; der Empfindung von Freude und Offenheit (21).

Ahimsa in der Kommunikation

Gewalt ist, was uns von uns selber trennt. Wir können nur gewaltfrei kommunizieren, wenn wir die Gewalt in uns selber zum Schweigen bringen. Wie denke ich über mich und andere?

In welchen Situationen setzt das Muster von negativen Gedanken und Selbstabwertung ein? Welche inneren Dialoge führe ich? Positive Wörter lösen positive Gefühle aus. Das Reden über Probleme schafft (weitere) Probleme. Das Reden über Lösungen schafft Lösungen. Mein Denken beeinflusst mein Sprechen und meine Sprache lenkt meine Handlungen. Wie verbunden fühle ich mich? Mit mir. Mit den andern. Mit der Natur? Mit dem Lebendigen?

Gewaltfreie Kommunikation (GFK)

Ahimsa in der Kommunikation, das ist vor allem Gewaltfreie Kommunikation. Sie geht von folgenden Prämissen aus:

Menschen möchten Mitgefühl (22) und Wertschätzung. Menschen sind an guten Beziehungen interessiert. Menschen haben Bedürfnisse, die Motivation für ihre Handlungen sind. Das Modell nach M. Rosenberg knüpft daran und besteht aus den vier Komponenten Beobachtung, Gefühle, Bedürfnisse, Bitten.

Beobachtungen

Wir hören, was andere sagen und sehen, was sie tun. Darüber sprechen wir. Ausschliesslich. Wir bewerten nicht, wir urteilen nicht, wir verurteilen nicht. Das empfiehlt uns auch die Bibel: „Verurteile nicht, und du wirst nicht verurteilt werden. Denn wenn du andere verurteilst, so wirst du selbst verurteilt werden“ (23). Einen solchen Satz erleben viele als „Moralin pur“ und er löst bewusst oder unbewusst Abwehr aus. Wenn wir allerdings begreifen können, dass damit ein geistiges Gesetz ausgesprochen ist, nämlich die Erfahrungstatsache, dass die schlechten Gedanken, die wir aussenden, zu uns zurückkehren, dann wäre es unklug im Widerstand zu verharren. Unsere Prägung und Erfahrung ist, dass wir ständig bewerten. Und wir bewerten nicht nur die andern, sondern auch uns selbst. Das ist die Selbstabwertung im Kopfkino. Die wenigsten von uns sind fähig, nur wahrzunehmen was ist. Die erste Komponente ist also leicht zu verstehen, aber schwierig umzusetzen, weil sie von uns verlangt, ein eingraviertes Muster zu überwinden und durch die reine Wahrnehmung des Augenblicks zu ersetzen. Das verlangt nach Übung. Am wirksamsten üben wir die reine Wahrnehmung mit den yogischen Asanas. Wenn ich zum Beispiel täglich im Baum stehe, dann kann ich sehr gut beobachten, wie ich stehe und was geschieht, wenn meine Gedanken abschweifen, wenn ich geistig den Baum verlasse. Dann ist die Stabilität weg. Wurzeln schlagen ist ein geistig-körperlicher Prozess. Wir müssen mit den Wurzeln tief in die Erde dringen, bevor wir uns mit Ast und Krone hoch in den Himmel ranken können (24). Deshalb gehören Yoga und GFK zusammen.

Beispiel: Ich sehe, dass du den Krug zerbrochen hast. (anstatt: Kannst du nicht aufpassen, jetzt hast du den Krug zerbrochen, du machst einfach alles kaputt).

Gefühle

Auch der nächste Schritt, nämlich auszusprechen, welches Gefühl die Beobachtung auslöst, verlangt nach Schulung der Wahrnehmung, genau so, wie in der Yoga-Praxis. Denn bevor ich aussprechen kann, was ich fühle, muss ich in der Lage sein, Gefühle überhaupt differenziert wahrzunehmen. Ich habe das Gefühl, dass…..Was so beginnt, ist häufig nicht Ausdruck eines Gefühls. Es geht dann zum Beispiel wie folgt weiter: …es morgen regnen wird. Das ist eine Einschätzung oder eine Vermutung, aber kein Gefühl.

In vielen Mediationsgesprächen mit gewalttätigen Jugendlichen ist mir aufgefallen, wie wenig sie ihre eigenen Gefühle wahrnehmen und demzufolge auch nicht in Worte fassen können. Sie leben in ständiger Aussenverbindung, nehmen seismographisch ihre reale und digitale Umgebung wahr. Sie sind provokativ und reaktiv, ein Medium schnell wechselnder Impulse. Die Verbindung nach innen aber ist gekappt. Über Gefühle sprechen zu können bedeutet also, echte Gefühle, wie Wut, Trauer, Freude wahrzunehmen und sie mitzuteilen. Wer es nicht gelernt hat, sollte es nachträglich üben und lernen. Denn aus der Sicht der Gehirnforschung ist das Gehirn plastisch, es kann also verformt und bearbeitet werden, wie zum Beispiel ein Tonklumpen. Das heisst, wir können auch Mitgefühl trainieren, zum Beispiel durch regelmässiges Meditieren, wie die Abbildung von Gefühlsvorgängen im Hirnscanner zeigt (25). Das Gehirn ist also nicht bloss elastisch, wie ein Ballon, der aufgeblasen werden kann und schrumpft. Wir können bis ins hohe Alter lernen, wenn wir denn wollen. Wir sind nicht zum übersteigerten Eigennutz, zur Gier verdammt, wie es die entfesselte Wirtschaft suggeriert (26).

Beispiel: Das macht mich traurig, weil der Krug ein Andenken von meiner Grossmutter ist.

Auch Intuition ist kein Gefühl. Sie ist lediglich verwandt, nämlich gefühltes Wissen, das plötzlich auftaucht, von dem wir aber nicht wissen, woher es stammt (27). Auch im Falle der Intuition sind wir ungenau. Wir sprechen vom Bauchgefühl, meinen aber eben ein Wissen, eine Überzeugung, eine sich unmittelbar einstellende Klarheit. Für Albert Einstein war sie noch mehr: „Die Intuition ist ein göttliches Geschenk. Der denkende Verstand ein treuer Diener. Paradox, dass wir heutzutage angefangen haben, die Diener zu verehren und die göttliche Gabe zu entweihen.“

Gerade in schwierigen Gesprächen kann die Bedeutung der Intuition nicht hoch genug eingeschätzt werden. Wir sprechen vom Gedankenblitz, der dann in einem Satz das Gespräch auf eine neue Ebene von Einsicht und Lösungsorientierung zu heben vermag. Der Gedankenblitz kann auch darin bestehen, dass zum Beispiel plötzlich klar wird, dass schweigen angesagt ist. Ich habe in Mediationsgesprächen erlebt, wie ein fünfminütiges Schweigen viel verändern kann. Aufgeheizte Worte können viel Dreck aufwirbeln, dann ist es nötig zu sagen: „Das Trübe muss sich in der Stille setzen.“ (28)

Bedürfnisse

Bei der dritten Komponente, geht es darum, zu sagen, welche Bedürfnisse hinter den Gefühlen stehen. Wir alle haben Bedürfnisse (29), wie zum Beispiel Essen, Wohnen, Sicherheit, Geborgenheit, Freundschaft. Wir haben Wünsche und verfolgen deren Befriedigung mit mehr oder weniger geeigneten Strategien. Indem wir Transparenz herstellen und konsequent von uns und unseren Bedürfnissen sprechen, stossen wir die Tür zum Raum des Dialogs und des Verhandelns auf. Bedürfnisse müssen artikuliert werden können. Das entspannt. Herauszufinden, wie die Bedürfnisbefriedigung zu erfolgen hat, ist dann die Aufgabe aller Beteiligten. Wer sich nicht artikulieren kann, kann nicht gehört werden. Seine Anliegen kommen zu kurz, seine Bedürfnisse werden nicht befriedigt. Er fühlt sich frustriert, irritiert, gelähmt, mutlos, verletzt, verspannt, verzweifelt, wütend. Er wird aggressiv oder regressiv; er greift an oder zieht sich zurück, er explodiert oder er implodiert. Und manche fallen in die Totenstarre, sind kommunikations- und handlungsunfähig. Beispiel: Es ist mir ein grosses Anliegen, dass du erkennst, wie viel mir dieser Krug und andere Andenken an meine Grossmutter bedeuten. Es ist mein tiefer Wunsch, dass wir alle achtsam mit diesen Gegenständen umgehen.

Bitten

Forderungen sind uns bestens bekannt, auch in Verbindung mit Drohungen: Wenn du jetzt nicht sofort das Radio zudrehst, dann… Ist das ein lebensbejahender Umgang? Wohl kaum. So geraten wir unter Druck, empfinden Enge und spüren vielleicht sogar Wut aufkommen. Bitten statt fordern ist die konsequente Umsetzung des Postulats, dass wir zwischen Sache und Emotion trennen sollen, im Volksmund bekannt als: Hart in der Sache, freundlich im Ton (30). Bitten fällt schwer, wenn wir einander als Gegner oder Feind sehen. Bitten fällt leicht, wenn wir aus dem Herzen heraus sprechen. Namaste! Ich grüsse das Göttliche in dir. Grüss Gott! Adieu, a-dieu, zu Gott, sind Grussgewohnheiten, die nicht mehr „in“ sind. Sie sind auch heute noch geeignet, uns daran zu erinnern, dass wir himmlischen und irdischen Ursprungs sind. Kommunikation aus dem himmlischen Ursprung heraus, in Fühlung mit dem göttlichen Kern in uns und im andern, kann nur freundlich und wertschätzend sein.

Beispiel: Ich bitte dich, in Zukunft (noch) besser aufzupassen, ganz besonders bei diesen antiken Gegenständen. Ich bitte dich, mit mir zusammen den Krug gleich jetzt zu flicken.

Wer seine Bedürfnisse positiv artikulieren kann, wer bitten statt fordern kann, hat die Chance zu bekommen, was er braucht. Dann fühlt er sich befreit, belebt, entspannt, entschlossen, erfreut, locker, munter, motiviert und vielleicht sogar glücklich.

Grenzen der GFK

Gefahren- und Notsituationen

Es gibt Situationen, in denen schnelle, direktive Kommunikation und vor allem rasches Handeln angesagt sind. Das sind Gefahren- und Notsituationen, in denen weder Notwendigkeit noch Zeit für einfühlsame Kommunikation besteht. Beispiele: Ein Kind rennt auf die Autostrasse, ein Haus brennt. Geistestrübungen durch

Drogen und Medikamente

Es gibt aber auch Situationen, in denen einfühlsame verbale Kommunikation äusserst vorsichtig anzuwenden ist. Ich denke an alkoholisierte, unter Drogen und Medikamenten stehende Menschen, deren Verhalten nur schwer vorhersehbar sein kann. In diesen Fällen kann es angezeigt sein, wohlwollend, aber klar und direktiv zu kommunizieren. Vielleicht ist Empathie ohne Worte, das Halten der Hand, eine Umarmung, eine leichte Berührung das Richtige. Beobachtung, Erfahrung, Intuition können Wegweiser sein.

Sprachgrenzen

Schliesslich gibt es auch Sprachgrenzen. Es darf die Sprache der GFK nicht starr angewendet werden. Immer geht es darum, der konkreten Situation angemessen zu kommunizieren. Die Sprache, die konkrete Wortwahl muss also abgewandelt und angepasst werden. GFK verlangt hohe Wachheit, Flexibilität und Phantasie. Sie ist immer auch Übersetzungsarbeit.

Jenseits von GFK

Kommunikation ist störungsanfällig, weil sie geprägt ist von unserer individuellen Art des Denkens, der Erfahrung und des verbalen und nonverbalen Ausdrucks. Doch es gibt weitere Elemente die zu Ahimsa in der Kommunikation beitragen können. Wichtige Elemente sind das aktive Zuhören, die Genauigkeit im Ausdruck und das Feedback geben. Wichtig ist auch die Verlässlichkeit, die Kongruenz von Wort und Tat. Ebenso wichtig ist das Wissen um die Gesetzmässigkeiten von Eskalation und De-Eskalation.

Aktives Zuhören

„Mehr zu hören als zu reden solches schuf uns die Natur, sie versah uns mit zwei Ohren, doch mit einer Zunge nur.“ (31)

Wir reden zu viel, wir hören zu wenig zu, ganz besonders in unserer schnellen, hyperaktiven Zeit. Der Schlüssel zur erfolgreichen Kommunikation heisst aktiv zuhören. Es geht darum,
die Zentrifugalkräfte (reden) und die Zentripetalkräfte (zuhören) in Balance zu halten. Aktives Zuhören braucht Zeit und Wohlwollen; es macht Erkenntnisgewinn möglich:

„Aktives Zuhören heisst, dem andern die Möglichkeit zu geben, Dinge auszusprechen, die er ohne dieses Zuhören nicht oder nicht so hätte aussprechen können.“ (32)

Aktives Zuhören ist nur in einer Haltung des Gewährens, des Raum und Zeit Gewährens möglich. Der Hörende schwingt sich ein auf den Rhythmus des Sprechenden. Dieser Rhythmus ist immer individuell und situativ, gebunden an das Jetzt.

Einfachheit & Genauigkeit

Je einfacher die Anweisung bei gleichzeitig grosser Genauigkeit der Yogalehrerin ist und je wacher und offener das Zuhören des Schülers, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Schüler das Gehörte körperlich korrekt umsetzen kann. Das gilt beispielhaft für andere Lebens- und Tätigkeitsgebiete. Wir alle haben unser biografisch geprägtes eigenes Wörterbuch, das wir laufend auf seine lebensbejahende Wirkung überprüfen sollten, denn es ist der sozialen Ansteckung durch sich rasch verbreitende Moden ausgesetzt. Doch alles Wesentliche ist einfach: Klares Denken führt zu klarem Ausdruck. Positive Worte wirken positiv. Punkt.

Feedback

Was wir sagen, wie wir es sagen, was wir tun, wie wir es tun, was wir nicht tun – wir verhalten uns, wirken auf andere und sind darauf angewiesen, dass wir Rückmeldung (Feedback) bekommen, wie unser Verhalten aufgenommen, verstanden wurde. Dieses Feedback wirkt ebenfalls, es gibt uns Orientierung. Erhalten wir Bestätigung und Anerkennung, dann wird unser Verhalten gestützt und gefördert. Das Feedback kann uns aber auch zur Reflexion und Selbstkritik führen, uns zeigen, dass es förderlich ist, unser Verhalten zu differenzieren, eventuell zu korrigieren. Feedback kann helfen Beziehungen zu klären und einander besser zu verstehen. Da die Yoga-Praxis hilft, die Dinge bewusst zu tun, fördern wir so auch die Fähigkeit, bewusst Feedback zu geben, zum Beispiel mit Wort und Tat zu ermutigen. Wirksames Feedback ist konkret, beschreibend, genau formuliert, angemessen, erfolgt rasch, bezieht sich auf Verhaltensweisen, die veränderbar sind und ist für Dritte nachvollziehbar. Wer Feedback empfängt, hat die Chance lernen zu können. Das setzt ein paar Dinge voraus, wie aufmerksames Zuhören, mitdenken, Fragen stellen, das eigene Verhalten erklären. Es geht nicht darum, sich zu rechtfertigen oder gar zu verteidigen. Es geht darum, im Dialog zu neuen Einsichten zu gelangen. Diesen Dialog können wir im Partneryoga beim Einüben von gemeinsamen Körperstellungen bestens üben. Wir beobachten genau, wir sagen, was wir denken, fühlen, wollen. Wir fragen nach, wir korrigieren, wir machen Vorschläge. Wir probieren aus. Wir suchen Wege. Wir suchen Lösungen. Wir sind im Kontakt mit unseren Ressourcen. So gehen Yoga und Kommunikation wertschätzend und lernend Hand in Hand.

Verlässlichkeit

Verlässlichkeit ist die Kongruenz von Wort und Tat. Ich tue, was ich sage. Ich bin authentisch. Ich bin glaubwürdig. Das tönt einfach und plausibel. Aber wir Menschen verhalten uns widersprüchlich und sind verführbar, wenn auch nicht alle im gleichen Ausmass (33). Ein Aspekt der Verlässlichkeit ist die Pünktlichkeit. Verlässlichkeit ist ein wichtiges Fundament tragfähiger Beziehungen. Konflikte können ihren Ursprung darin haben, dass wir nicht sagen, was wir meinen und nicht tun, was wir sagen (34). Dann kommen wir einander in Quere. Dann haben wir mehr als Differenzen, mehr als blosse Meinungsverschiedenheiten. Dann haben wir einen Konflikt, unvereinbares Verhalten stösst aufeinander. Wer dann nicht aufpasst findet sich auf der Kellertreppe wieder.

Zwischen Flow und Eskalation

Das Modell der Konflikteskalation kennt neun Stufen und führt beginnend mit der Verhärtung bis zur Zerstörung, Schritt für Schritt in den Abgrund bis zur Vernichtung des Gegners zum Preis der Selbstvernichtung (35). Das Gegenstück ist die wertschätzende, aufbauende Kommunikation, inspiriert durch die GFK. Sie verbindet uns mit dem Fluss des Lebens. Dazwischen liegt, was wir alle gut kennen, die mehr oder weniger wohlwollende Alltagskommunikation: Sie ist nicht ausgeprägt wertschätzend, aber nett. Nicht negativ, aber auch nicht sehr engagiert. Nicht sehr genau, aber auch nicht diffus. Nicht sehr bewusst, aber auch nicht gleichgültig. Sie lässt das Leben dahin plätschern, als ob es ewig dauern würde.

GFK und Konflikteskalation nach Glasl

Grundsätzlich besteht vor jedem Schritt auf die nächstuntere Treppenstufe die Möglichkeit der Umkehr, zunächst noch aus eigener Kraft (Stufen 1-3)und später nur noch durch die Vermittlung eines Dritten (des Mediators; Stufen 4-6), der die Parteien mit empathischer Gesprächstechnik und klarer sowie neutraler Haltung aus den Verstrickungen herausführt. Danach (Stufen 7-9) wird es ziemlich aussichtslos.

Ahimsa und die nonverbale Kommunikation

Erröten, ein Lächeln, ein missachtender Blick, eine verletzende Geste, ein Kopfnicken, sich zuwenden, sich abwenden, die Augen rollen, sich an die Stirne tippen, sich am Hinterkopf kratzen, die Arme verschränken, die Lippen zusammen pressen. Der Körper lügt nicht. Er legt offen, was ist. Schnell und oft unbewusst agieren wir ohne Worte, doch mit grosser Wirkung auf unser Gegenüber. Körpersprache blitzt aus dem Unbewussten auf, wir können sie kaum kontrollieren und steuern. Sie signalisiert, was wirklich los ist mit uns. Körpersprache ist ererbt, kulturell geprägt und angeeignet zugleich. Sie öffnet oder verschliesst unseren Zugang zu Mensch und Tier. Unsere Haltung drückt sich in unserem Verhalten, vor allem in unserem Körperverhalten aus. Yoga zentriert, reinigt und stärkt das Nervensystem, beeinflusst das Hormonsystem günstig. Yoga senkt den Blutdruck, macht uns ruhig und gelassen. Yoga unterstützt uns, die Balance täglich von Neuem zu finden. Das ist bedeutungsvoll, denn so sind wir den gesellschaftlich stark verbreiteten Zentrifugalkräften weniger stark ausgesetzt. Wir lassen uns von unseren Emotionen nicht wegtragen. Spekulationen und Gerüchte lassen uns kalt. Das Resultat ist hör- und sichtbar. Unsere Stimme ist ruhig und unsere Körpersprache signalisiert: Ich bin da. Ich höre. Ich sehe, was ist. Es ist ok, wie es ist.. Auf dieser Basis kann Vertrauen entstehen. Auf diesem Nährboden werden aus Kontakten Beziehungen. Und daraus Netzwerke. Sie haben das Potential, das Leben und die Welt zu verändern.

Giraffenyoga – ein Übungsweg

Wir Menschen sind Frühgeburten. Wir beginnen unser Leben in grösster Abhängigkeit und es kann auch sein, dass wir es so beenden, der Kreis sich schliesst. Wie oft sind wir als Kleinkinder hingefallen, bis wir endlich aufrecht stehen und dann gehen konnten! Die Geschichte von uns Menschen ist eine unendliche Geschichte des Lernens. Stillstand ist Rückschritt. Auch in der Kommunikation. „Das Wort verkümmert und stirbt, wenn wir es nicht mit anderen teilen“ (Tschingis Aitmatov). Indem wir Yoga und Kommunikation zueinander in Beziehung setzen, nach Gemeinsamkeiten forschen und beide Disziplinen gleichzeitig üben, können wir rasch lernen. Dabei ist die Wahl der miteinander in einen Übungszusammenhang gebrachten Körperstellungen und Kommunikationsübungen von grosser Bedeutung. So steigern wir Beziehungs- und Lebensqualität. Wir sind im Fluss https://findphonebase.ca , in der Hingabe an das Leben und machen die Erfahrung, dass es auf uns ankommt. Und zwar täglich. In der täglichen Übung und im täglichen praktischen Leben. Gleichwohl wissen wir, dass trotzdem nicht alles von uns allein abhängt. Denn auch mit Giraffenyoga bleibt das Leben in seiner Tiefe ein Geheimnis. Alles andere wäre anmassend. Viel Glück!

Fussnoten

1 Patanjali: Die Wurzeln des Yoga
2 Marshall Rosenberg, 1934-2015
3 Mediativ=vermittelnd; von Mediation=Vermittlung durch unabhängige Drittperson
4 Martin Buber: Der Mensch wird am Du zum Ich.
5 Ausculta=horch! Horchen aus ganzem Herzen; Regel des heiligen Benedikt
6 Die Vibration des OM stimuliert den Vagus-Nerv und fördert die Gelassenheit
7 Joachim Ernst Berendt: Von Kommunikation und Kommunion, in: Lass den Fluss strömen.
8 Antoine de Saint Exupéry: Der kleine Prinz: Man sieht nur mit dem Herzen gut.
9 Swami Vivekananda hat 1896 erstmals im Westen über Yoga als Weg zur Befreiung gesprochen. Das war rein philosophisch (ohne Körperübungen, ohne Atemtechnik).
10 Asanas, Körperübungen
11 Patanjali, Yogasutra, I.2
12 Patanjali, Yogasutra, I.3
13 Samsara-Rad
14 Depression und Burn out: in der CH begehen jährlich über 1‘000 Menschen Suizid. Im Jahre 2012 waren es 752 Männer und 285 Frauen (Quelle: Bundesamt für Statistik).
15 Shivamukti
16 Johann Heinrich Pestalozzi, 1746-1827
17 Ahimsa=Nicht-Gewalt
18 Himsa=Gewalt
19 Mahatma Gandhi: Handeln aus dem Geist
20 B.K.S. Iyengar: Licht auf Yoga, S.16
21 Remo Rittiner: Das grosse Yoga-Therapiebuch; S.22/23
22 Mitgefühl ist die Fähigkeit, sich in die Situation anderer Menschen einzufühlen.
23 Matthäus, 7.1
24 Tief in die Erde, wie ein Baum, hoch in den Himmel, wie ein Baum geht mein Weg, geht mein Weg (Mantra).
25 Tanja Singer, in: Die Zeit, Nr. 23, 29. Mai 2013
26 Vgl. auch Matthias Wiesmann: Solidarwirtschaft. Verantwortung als ökonomisches Prinzip. Futurum-Verlag.
27 Definition von Gerd Gigerenzer; Psychologe und Autor; ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung
28 Anselm Grün
29 Vgl. auch Bedürfnispyramide nach Maslow
30 Vgl. auch das Harvard-Konzept, welches unter anderem die Menschen und die Probleme getrennt behandelt.
31 Gottfried Keller
32 Heinz Zimmermann, S.33
33 Fritz Riemann: Grundformen der Angst
34 Martin Buber
35 Konflikteskalation nach F.Glasl